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Kaija Saariaho (1952–2023) trifft Ethel Smyth (1858–1944): Die ersten beiden «women composers» an der Metropolitan Opera

Die Komponistinnen Kaija Saariaho und Ethel Smyth begegneten sich auf den Spielplänen der Metropolitan Opera in New York City (MET). 2016 war das, 72 Jahre nach Smyths Tod. Ethel Smyth war die erste Komponistin, von der eine Oper an der MET gespielt wurde: «Der Wald». 113 Jahre trennen ihre Aufführungen von jenen der Oper «L’amour de loin» von Kaija Saariaho – so lange hat es gedauert, bis an der MET auf die erste von einer Frau geschriebene Oper die nächste folgte. *

Am 11. März 1903 fand an der Metropolitan Opera in New York die US-amerikanische Erstaufführung von Ethel Smyths Oper «Der Wald» statt, nur ein Jahr nachdem das Stück 1902 in Berlin uraufgeführt worden war. Dirigiert wurde die Premiere von Alfred Hertz (1872–1942). Er war gerade neu am Haus. Heute wird er für die MET-Erstaufführungen von zwei Opern zweier Richarde erinnert: «Parsifal» (Richard Wagner, ebenfalls 1903) und «Salome» (Richard Strauss, 1907). Vor ihnen brachte er dem New Yorker Publikum Smyths Musik zum ersten Mal zu Gehör. Zwei Aufführungen hatte «Der Wald» 1903. Da die Oper recht kurz ist – eine Stunde und sechs Minuten dauert sie in einer jüngst erschienenen Aufnahme der BBC – wurde sie zusammen mit anderen Stücken aufgeführt. Wie dem MET-Archiv zu entnehmen ist, war das bei der Premiere Giuseppe Verdis Troubadour, «Il Trovatore», der hier immerhin schon seine 47. MET-Aufführung feiern konnte; am zweiten Abend war es Gaetano Donizettis «La fille du régiment», Die Regimentstochter.

Gefolgt wurde Ethel Smyth an der MET von der finnischen Komponistin Kaija Saariaho, die letztes Jahr verstorben ist. Bereits 2012 war in New York beim jährlichen Festival des Lincoln Center (zu dem die MET gehört) ihre Oper «Émilie» zu hören. Die Aufführung fand im kleinen Theater des John Jay College statt, nur zehn Gehminuten vom Opernhaus entfernt. Auf die ganz grosse Bühne – 837 m2 misst sie in der MET – kam Saariahos Musik dann mit «L’amour de loin». Sechs Aufführungen sind dokumentiert, die alle im Dezember 2016 stattfanden. Diese Abende waren auch für die Dirigentin Susanna Mälkki ihr MET-Debut. Mit der letzten von ihr dirigierten Aufführung war es erst einmal wieder vorbei mit Komponistinnen-Opern an der MET. 2018 aber hat das Opernhaus zwei Kompositionsaufträge bekannt gegeben: an Missy Mazzoli und Jeanine Tesori. Nächste Woche feiert nun Tesoris Oper «Grounded» unter dem Dirigat von MET-Chef Yannick Nézet-Séguin Premiere. In einem Interview sagte Mazzoli zum Auftrag der MET: «It’s the thing I’m most proud of in life. […] But it only feels good if I’m not the last woman.» We’ll stay tuned und sagen toi toi toi für die Premiere!

*Jetzt gibt es Neuigkeiten! In der Spielzeit 2024/25 kommt Jeanine Tesori dazu; nächste Woche ist Premiere.

Torben Hanhart
Bei Fragen schreibt gerne an: torben@femaleclassics.com


Gehört gehört:

Ethel Smyth: Epilog zu «Der Wald»

Die Oper erzählt in neun Szenen die tödlich endende Liebesgeschichte von Röschen und Heinrich. Sie wird umrahmt von einem Vorspiel (Prolog) und einem Nachspiel (Epilog). Smyth schrieb dazu in ihrer Autobiografie:

«Der Hauptgedanke der Oper lautet: Die kurze, schmerzliche Tragödie, die einen Moment lang die schweigend vollzogenen Riten der Waldgeister unterbricht, ist nur eine Episode; die wirkliche Geschichte ist der ewige Kreislauf der Natur, die das menschliche Schicksal formt und sich nicht um die Freuden und Sorgen der Sterblichen kümmert.»

Im Epilog hört man diese Geister singen. «Vergänglich ist der Sterblichen Leid, vergänglich der Sterblichen kurze Lust» – «How swiftly passeth man’s delight, and e'en like a dream his pains forgot.»


Kaija Saariaho: Überfahrt am Anfang von «L’amour de loin»

«Liebe aus der Ferne» bedeutet der Titel von Saariahos Oper, die vom Troubadour Jaufré Rudel (1100–1147) und seiner Liebe zur Gräfin Clémence erzählt. Er kommt aus Aquitanien, das im Süden Frankreichs liegt, sie lebt in Libyen. Clémence und Jaufré erfahren voneinander und steigern sich in die Idee eines bzw. einer Geliebten auf der anderen Seite des Meeres hinein. Das geht bis ins Obsessive. Ihrer «Liebe auf Distanz» trägt die Oper gleich mit ihren ersten Klängen Rechnung. Sie beginnt mit einer musikalischen Überfahrt. Im Laufe der Oper wird Jaufré tatsächlich ein Schiff nach Libyen besteigen, um Clémence zu treffen. Der französische Philosoph Roland Barthes schrieb 1977 in seinen «Fragmenten einer Sprache der Liebe» davon, dass der Geliebte immer abwesend bliebe. Jaufré aber will möglichst nah heran, fährt nach Tripolis und stirbt dort entkräftet.


Lektürehinweise

Zur Geschichte von Ethel Smyths «Der Wald» an der MET: John Yohalem.

Deutsche Ausgabe der Autobiographie von Ethel Smyth: Eva Rieger, 1988 (Herausgeberin). Ein stürmischer Winter. Erinnerungen einer streitbaren englischen Komponistin. Übersetzt von Michaela Huber (Kassel: Bärenreiter); Zitat zu «Der Wald» auf S. 81.

Aufführungsdaten und Zusammenfassung von «L’Amour de loin» auf der Website von Kaija Saariaho.

Über «L’amour de loin» und Peter Sellars’ Inszenierung der Uraufführung: Susan McClary, 2019. The Passions of Peter Sellars: Staging the Music (Ann Arbor: University of Michigan Press); Kapitel 5, S. 115-142.