Ensembles oder Laienorchester tun sich gar nicht so schwer: Immer mehr programmieren sie ganze Abende aus Frauenhand oder spielen eine Sinfonie einer Komponistin als Hauptwerk. Die grossen Tanker, allen voran das Tonhalle-Orchester Zürich, wollen dagegen nicht so recht in Bewegung kommen. Mit 17,9 Millionen Franken Subventionen der Stadt Zürich hat das Orchester über die Hälfte des Umsatzes sicher im Haus. Da könnte man dem prestigeträchtigen Klangkörper schon etwas mehr Mut zu Neuem zutrauen, ein bisschen Neugier, Werke vergangener Komponistinnen auszugraben. Leider nein: In der vergangenen Saison 2023/24 lautet die Anzahl der vom Tonhalle-Orchester Zürich aufgeführten Orchesterwerke von Komponistinnen: 0. Zumindest ernannte Intendantin Ilona Schmiel auf die Saison 2024/25 erstmals eine Creative Chair. Bereits vorher las man zwar: «In jeder Saison laden wir einen bedeutenden Komponisten oder eine Komponistin als Creative Chair ein.» Die bisherigen Träger*innen dieses Amts seit seiner Einführung waren jedoch ausschliesslich Männer. Ein gutes Beispiel dafür, dass der Einsatz von gendergerechter Sprache allein nichts an den bestehenden Geschlechterverhältnissen ändert.
Doch warum tut sich gerade dieses sonst so innovative Orchester so schwer? Und warum hilft die Stadt Zürich, welche das Orchester immerhin zur Hälfte finanziell trägt, nicht mehr nach? Fakt ist, dass das Tonhalle-Orchester Zürich einen unbefristeten Subventionsvertrag geniesst. Unbefristet heisst, es gibt keine automatische periodische Überprüfung oder Aktualisierung dieses Vertrags. So kann zwar im Kulturleitbild die Wichtigkeit von Diversität betont werden. Es kann bei der Vergabe von Projektbeiträgen an kleinere Ensembles oder Festivals noch so auf die Diversität geachtet werden. Im Subventionsvertrag des grossen Tankers Tonhalle-Orchester Zürich ist die Forderung nach Gleichstellung jedoch kaum verpflichtend formuliert. Zwar steht im Kulturleitbild der Stadt Zürich für die Jahre 2024–2027 unter «3.2.2 Grundsätze der Förderung»:
«Bei der Förderung sind Gleichstellung, Diversität und Inklusion wichtige Anliegen.»
Direkt darüber steht:
«Die Kulturförderung respektiert die künstlerische Freiheit der unterstützten Projekte.»
«Darüber» heisst hier: Künstlerische Freiheit schlägt Gleichstellung. Denn das ist das Totschlagargument gegen alles. Künstlerische Freiheit. Aber: künstlerische Freiheit ist die Freihei zu entscheiden, welche Epoche, welches Solokonzert, welche Besetzung man programmiert. Künstlerische Freiheit ist vieles und ist wichtig. Aber bei der systematischen Ausschliessung einer ganzen Personengruppe endet künstlerische Freiheit und beginnt Diskriminierung.
Wenn wir schon dabei sind: welche künstlerische Freiheit hatte Fanny Mendelssohn, welcher es nicht erlaubt war, Musik zu studieren? Oder Amy Beach, welcher, trotz erster Erfolge als Komponistin, nach Eheschliessung verboten wurde, weiterhin zu komponieren? Wie gross war die künstlerische Freiheit von Ethel Smyth, die wegen ihres Engagements für Frauenrechte im Gefängnis landete?
Mhm.
PS: Diese Woche startet das Tonhalle-Orchester Zürich in die neue Saison. Auf dem Programm der Saisoneröffnung steht Trommelwirbel eine Komponistin. Finden wir gut! Ob das nun alles verändert? Das sehen wir im nächsten Newsbeitrag.